Begrüßung durch den Sprecher der AG Geschichte Bad Nauheim, Hans-Günther Patzke
Sehr geehrte Damen und Herren,
als Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Geschichte Bad Nauheim heiße ich Sie zur Einweihung des Erinnerungsmals für die Bad Nauheimer Holocaustopfer herzlich willkommen. Ich begrüße den ersten Bürger unserer Stadt, Herrn Stadtverordnetenvorsteher Gerhard Hahn - mit seinem Vorgänger Herrn Prof. Dr. Feyerabend - , Herrn Bürgermeister Armin Häuser, die Damen und Herren des Magistrats, des Stadtparlaments, der Ortsbeiräte und der Stadtverwaltung, die Vertreter der Schulen und der Religionsgemeinschaften – hier besonders die Repräsentanten der Jüdischen Gemeinde, - nicht zu vergessen - die Vertreter der Bürgerstiftung „Ein Herz für Bad Nauheim. Ja, und dann freue ich mich, dass uns auch aus unserer Nachbarstadt Friedberg Herr Bürgermeister Michael Keller die Ehre gibt.
Als besonders verbunden mit dem heutigen Ereignis begrüße ich Herrn Prof. Peter Schubert, dem wir den Entwurf unseres Erinnerungsmals verdanken, und die beiden Männer, die es in handwerklicher Meisterschaft gestaltet haben, Herrn Michael Barnes vom Steinmetzbetrieb in Bad Nauheim und Herrn Christian Pfeifer von der Kunstgießerei in Stadtallendorf.
Neben den bereits genannten grüße ich Sie, verehrte Mitbürgerinnen, Mitbürger und Gäste, die unserer Einladung zu dieser Feier gefolgt sind - und die Presse.
Was über eine Zeit von etwa vier Jahren angedacht und geplant worden ist, kann heute in schöner Vollendung vorgestellt und den Bürgerinnen und Bürgern unserer Stadt übergeben werden. Darüber freuen wir uns sehr, auch wenn es nicht nur mir schwer fällt, in diesem Zusammenhang von Freude zu sprechen. Wie Holocaust-Gedenkstätten allgemein, steht auch unser Erinnerungsmal in ursächlich trauriger Verbindung mit dem Faktum der Ermordung jüdischer Frauen, Männer und Kinder unter der Herrschaft des Nationalsozialismus.
1987 hatte Herr Stephan Kolb – ich freue mich, ihn hier bei uns zu sehen- in einem auf einer gewaltigen Rechercheleistung beruhenden Buch die Geschichte der Bad Nauheimer Juden, die Bedeutung jüdischer Einwohner für die Entwicklung Nauheims und schließlich auch die Auslöschung jüdischen Lebens unter der Herrschaft Hitlers detailliert dargestellt. Mit seinem Buch war er ein wichtiger Impulsgeber für den Entschluss der AG Geschichte, mehr als 30 Jahre später das Thema „Bad Nauheimer Holocaustopfer“ neu aufzugreifen. Dabei verschaffte uns das neue Informationsmittel Internet einen entscheidenden Vorteil. Die dort zugänglichen Suchportale, darunter das von Frau Kingreen, Mitarbeiterin des Fritz-Bauer-Instituts in Frankfurt, erstellte Internetportal Jüdisches Leben in Hessen erlaubten es uns, nach weiteren Informationen über Holocaustopfer zu fahnden. Auch in der Meldekartei der Stadt Bad Nauheim gingen wir mit Unterstützung von Frau Stadtarchivarin Faatz , Frau Opper und Herrn Grotegut vom Standesamt erneut auf Spurensuche. Was wir in all diesen Quellen von den Lebensschicksalen, dem unsäglichen Leid der Opfer erfuhren, hat uns immer wieder tief erschüttert.
Ermitteln konnten wir die Namen von 278 jüdischen Menschen, die durch Geburt oder Wohnung mit Bad Nauheim in Verbindung gestanden hatten und in der Zeit der Naziherrschaft deportiert und ermordet wurden. In unserer Homepage www.holocaust-erinnerungsmal-badnauheim.com sind sie u.a. über den neben dem Erinnerungsmal platzierten QR-Code abrufbar.
Parallel zu diesen Recherchen überlegten wir, wie man die Namen dieser unserer einstigen jüdischen Mitbürger, die Opfer des staatlich organisierten Massenmords wurden, vor dem Vergessenwerden bewahren können und einigten uns auf den Vorschlag, an prominenter Stelle in der Stadt ein Erinnerungsmal für die Bad Nauheimer Holocaustopfer zu errichten.
Auf dieser Grundlage baten wir mehrere professionell oder anderweitig künstlerisch engagierte Personen um Ideenvorschläge. Was uns an Vorschlägen erreichte, war durchweg beeindruckend. Nach reiflicher Abwägung fiel die Wahl der Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Geschichte auf den Entwurf von Prof. Peter Schubert, weil seine Gestaltungsidee unseren Aussageabsichten am besten entsprach. Was uns dann in unserer Entscheidung weiter bestärkte, war die Tatsache, dass das von uns favorisierte Modell bei den politischen Entscheidungsträgern der Stadt, bei der Jüdischen Gemeinde und auch in der Öffentlichkeit breite, ja uneingeschränkte Zustimmung fand.
Wie von Prof. Peter Schubert konzipiert, besteht das Erinnerungsmal aus zwei Teilen. Hauptteil ist eine Steinwand aus fränkischem Muschelkalk. – mit Bezug auf das von Wilhelm Jost für seine Bad Nauheimer Jugendstilbauten favorisierte Baumaterial. Der Stein trägt die Namen der Bad Nauheimer Holocaustopfer. Die davor platzierte bronzene Parkbank reiht sich ein in die regelmäßige Reihung weißer Parkbänke entlang dem Promenadenweg. Zugleich hebt sie sich durch die materielle Verfremdung aber aus der Reihe heraus. Sie visualisiert mit dem zurückgelassenen Mantel den erzwungenen Weggang des Besitzers ohne Wiederkehr.
Für die Umsetzung des Projekts „Erinnerungsmal“ setzte sich die Arbeitsgemeinschaft das ehrgeizige Ziel, dieses allein mit Spenden aus der Bad Nauheimer Bürgerschaft zu realisieren – das heißt ohne Griff in den städtischen Haushalt. Es sollte eine Geschenk von Bürgern für Bürger werden. Schneller, als für möglich gehalten, kam die erforderliche Summe zusammen, so dass unser Projekt schon wenige Monate nach Beginn der Spendenaktion in Auftrag gegeben werden konnte. Hier nochmals ein herzliches Dankeschön an die zahlreichen Spender.
Da der eigentliche Initiator des Projekts, die Arbeitsgemeinschaft Geschichte, aus juristischen Gründen das Projekt allein nicht bewerben und dafür keine Spenden entgegennehmen konnte, erklärte sich die Bürgerstiftung unter ihrem Präsidenten Armin Häfner bereit, diesen Part für uns zu übernehmen. Für die gute Zusammenarbeit und umfassende Unterstützung durch Herrn Rechtsanwalt Klaus Ruppert in den letzten Monaten schulden wir der Bürgerstiftung großen Dank.
Für die Fortsetzung der Rückschau übergebe ich nun das Wort an Herrn Armin Häfner.
Ansprache des Präsidenten der Bürgerstiftung "Ein Herz für Bad Nauheim", Armin Häfner
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Bad Nauheimer, liebe Spenderinnen und Spender,
sehr geehrter Herr Bürgermeister,
dies ist ein besonderer Tag für die Stadt und ihre Bürger, und ich bin froh, dass die Bürgerstiftung „Ein Herz für Bad Nauheim“ an der Seite der Arbeitsgemeinschaft Geschichte ihren Beitrag als Projektförderer zu diesem besonderen Vorhaben bürgerschaftlichen Engagements zur Geschichte und Erinnerungskultur unserer Stadt erfolgreich leisten durfte und konnte.
„Die Zukunft gewinnt, wer die Erinnerung füllt“, -
und hier und heute erinnern wir uns in der Mitte der Stadt, in der Fußgängerallee vor dem Kurpark gegenüber dem Aliceplatz, der jüdischen Bürger Bad Nauheims, die hier geboren oder wohnhaft waren und denen es aus unterschiedlichen Gründen nicht gelang oder nicht möglich war-und die es manchmal auch nicht wollten-, Deutschland zu verlassen, und die dem Holocaust zum Opfer gefallen sind. Bis zu ihrem Ende waren sie formal deutsche Staatsbürger, zuvor jedoch scheinlegal entrechtet, entwürdigt, enteignet und schließlich ghettoisiert. Sie aus der Anonymität herauszuholen, ihnen einen Namen und eine Vita zu geben, das betrachteten Arbeitsgemeinschaft wie Bürgerstiftung als gemeinsame Aufgabe.
Erinnern wollen wir uns dabei gerne auch der Bad Nauheimer Bürger jüdischer Herkunft, die u.a. als Ärzte, Hoteliers, Anwälte oder Gewerbetreibende mit der Kurstadt eng verbunden waren und zu dessen Blüte im 19. und 20 Jahrhundert entscheidend beigetragen haben.
Erinnern sollten wir uns dabei aber auch der ehemaligen Bad Nauheimer, denen es schweren Herzens wie weiteren über 200.000 deutschen Juden gelang, vor dem Holocaust Vaterstadt und Heimatland zu verlassen-oftmals belastet mit einschneidenden persönlichen Erfahrungen.
Kurt Steinhardt, dessen ältere Schwester 1932 ihr Abitur an der Ernst-Ludwig-Schule abgelegt hatte, schrieb am 18. Januar 1983 aus Australien an Stephan Kolb, dass für ihn die frühe Jugendzeit eine schöne Erinnerung gewesen sei, doch: „ Nach 1933 hatte sich alles geändert. Wir konnten nicht mehr in das Schwimmbad -Juden unerwünscht. Die Bänke im Kurpark durften wir nicht benutzen und so vieles andere.“ Deutlich wird in diesen Worten die systematische Ausgrenzung auch der Bad Nauheimer Juden aus dem Sozialgefüge ihrer Stadt, die –falls sie nicht die Möglichkeit zur Emigration hatten- schließlich in den Häusern Frankfurter Straße 58 und 65 ghettoisiert wurden, ehe sie deportiert wurden und dann umkamen oder umgebracht wurden.
Gegenstand ist diese rückblickende Aussage Steinhardts in unserem beeindruckenden Kunstobjekt, das die Deportation ohne Wiederkehr dieser Mitbürger symbolisiert, denen es zuvor offenbar schon untersagt war, auf einer Bank im Kurpark Platz zu nehmen. Ein tief empfundenes Dankeschön deshalb hier und gerade an den Künstler Professor Peter Schubert, der diese Erinnerungsstätte entworfen und zusammen mit dem Steinbildhauer Michael Barnes und dem Kunstgießer Christian Pfeifer gestaltet hat.
Erfreut und mit großer Genugtuung stellt auch die Bürgerstiftung „Ein Herz für Bad Nauheim“ fest, dass vor einem Jahr die politischen Gremien der Stadt die Errichtung dieses Erinnerungsmals einhellig begrüßt und dem Vorhaben einmütig zugestimmt haben. Unser Dank gilt allen ihren Mitgliedern wie auch den städtischen Fachbereichen und den Stadtwerken. Wichtig war für unser Vorhaben, dass die jüdische Gemeinde das Vorhaben begrüßt und auch gefördert hat.
Dies alles musste entschieden sein, ehe es darum gehen konnte, das Vorhaben auch finanziell zu realisieren. Bereitwillig und fast wie selbstverständlich, befördert durch personelle Verbindungen, übernahm die Bürgerstiftung die Aufgabe, die notwendigen finanziellen Mittel durch eine öffentliche Spendenaktion einzuwerben. Ihre Satzung macht hier möglich, was der AG Geschichte verwehrt ist, die keine Rechtspersönlichkeit besitzt.
Wie bereits von meinem Vorredner betont, wurde von vornherein verdeutlicht, dass die Herstellungskosten einschließlich der Kosten für das Fundament und für eine Informationstafel durch Spenden von Bad Nauheimer Bürgerinnen und Bürgern aufgebracht werden sollten und bewusst auf städtische Hauhaltsmittel verzichtet werde; hier sollte ein Geschenk der Bürgerinnen und Bürger für die Bürgerschaft geschaffen werden.
Natürlich gab es skeptische Stimmen, aber eigentlich waren wir alle guten Mutes, das gemeinsame Ziel zu erreichen. An die 1ooo Briefe wurden seit Juni letzten Jahres abgeschickt, dabei Bürger und Institutionen gezielt angeschrieben und anschließend viele damit verbundene persönliche Gespräche geführt, und dies in partnerschaftlicher und erfolgsorientierter Kooperation von Projektentwickler AG Geschichte und Projektförderer Bürgerstiftung. Am 11. Juni letzten Jahres traf dann die erste Spende eines Bürgers ein, und anschließend konnten wir erfreut feststellen, dass es über die Monate einen regelmäßigen Spendeneingang gab, der entsprechenden Verwaltungsaufwand erfordert hat, so dass innerhalb von 5 Monaten das Ziel von 40.000 Euro erreicht war und noch übertroffen wurde. Deshalb konnte bereits im Oktober der Auftrag für dieses Erinnerungsmal erteilt werden.
Neben vielen Bürgerinnen und Bürgern unterstützten zahlreiche Vereine und Fördervereine, Banken, Firmen und Gesellschaften, Geschäfte, Service- Clubs und Clubs und mit ihnen direkt oder indirekt viele ihrer Mitglieder wirkungsvoll das Vorhaben. Dabei wird uns auch bewusst, dass vormals das jüdische Bürgertum, das unsere Stadt entscheidend mitgestaltet hat, auch in fast allen städtischen Vereinen und Einrichtungen aktiv war.
Genannt seien hier weiterhin die Jüdische Gemeinde und die christlichen Kirchengemeinden Bad Nauheims, die gemeinsam ein deutliches Zeichen setzten. Über eine Kollekte, bei der der Holocaust thematisiert wurde, haben sie in der Kernstadt persönlich gemeinsam gespendet.
Sehr erfreut hat nicht nur mich, dass die Schulen der Kernstadt, die auch die Schülerinnen und Schüler jüdischer Herkunft besucht haben, die Aktion unterstützt haben. Besonders beeindruckte mich, dass Schüler einer Arbeitsgemeinschaft durch eine eigene schulinterne Aktion Spenden für das Erinnerungsmal sammelten, damit ihre Identifikation zum Ausdruck brachten und Mitschüler dabei einbeziehen konnten.
Wenn im Sinne von Bundespräsident Joachim Gauck die Erinnerung an den Holocaust eine Sache aller Bürger Deutschlands bleibt und dabei ein ethisches und kulturelles Fundament unserer demokratischen Gesellschaft darstellt, so ist die Erinnerung an die Bad Nauheimer Opfer eine Sache der Bürger dieser Stadt, eine kulturelle Erbschaft, die es an- und aufzunehmen gilt und die sie vertrauensvoll in die Hände der Stadt legen. Erinnern an die Vergangenheit, das ist Erinnern für die Zukunft.
Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
mit dem heutigen Tag übergeben Künstler, Arbeitsgemeinschaft Geschichte und Bürgerstiftung dieses Erinnerungsmal als Eigentum in die Obhut der Stadt, verbunden mit der Verpflichtung, dieses am hiesigen Standort dauerhaft zu pflegen und zu erhalten.
Dazu erlauben wir uns, Ihnen namens der Bürgerinnen und Bürger, der Arbeitsgemeinschaft Geschichte, der Bürgerstiftung und nicht zuletzt des Künstlers diese Schenkungsurkunde zu übergeben.
Ansprache des Bürgermeisters der Stadt Bad Nauheim, Armin Häuser
Sehr geehrter Herr Häfner,
sehr geehrter Herr Patzke,
sehr geehrter Herr Dr. Schwab,
sehr geehrter Herr Prof. Schubert,
sehr geehrter Herr Lenz,
sehr geehrte Damen und Herren,
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In der Kulturgeschichte der Menschheit gilt der Umgang mit den Toten als Gradmesser der „Menschwerdung“.
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Das bewusste Erinnern, die würdevolle Bestattung, die Ausstattung mit Grabbeigaben für das Leben im Jenseits – schon vor Tausenden von Jahren haben unsere Vorfahren Riten und Gebräuche entwickelt, die wir heute als Kennzeichen ihres Bewusstseins werten.
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Diktaturen zu allen Zeiten, in der Antike wie leider auch noch heute an vielen Orten dieser Erde, kehren genau diese Riten um.
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Sie verweigern ihren Opfern das würdevolle Gedenken, sie „entmenschlichen“ sie, um dadurch auch die Gedanken und Überzeugungen, für die sie stehen, zu negieren und in ihrer Wirkung zu reduzieren.
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Kaum ein anderes Regime in unserer langen traurigen Geschichte von Krieg und Gewalt hat die Tötung von Menschen und ihre Entmenschlichung so perfektioniert wie die Nazi-Diktatur, deren „Tausendjähriges Reich“ glücklicherweise nach nur zwölf Jahren in die Knie gezwungen wurde.
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In diesen zwölf Jahren allerdings bekam der Terror eine neue, furchtbare Dimension.
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Für uns Rückblickende ist wohl die penible Bürokratie, mit der die einzelnen Schritte dieses Terrors geradezu folgerichtig getan und dann ordnungsgemäß dokumentiert wurden, ein besonders grauenerregender Aspekt dieser Zeit, denn sie sollte dem Terror den Mantel der Rechtmäßigkeit umhängen und so die Entmenschlichung der Regime-Opfer verstärken und befördern.
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Es fällt mir persönlich immer wieder schwer, angesichts des Ausmaßes an Unrecht, das durch das Nazi-Regime verursacht wurde, die richtigen Worte zu finden.
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Im Grunde ist ein mitfühlender Mensch fast sprachlos angesichts der kaltherzigen, arroganten Menschenverachtung, zu der das Nazi-Regime an sich, aber letztlich auch die vielen einzelnen Ausführenden fähig waren, fähig sein mussten, um das zu tun, was sie dann taten.
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Mehr als 70 Jahre nach diesen Geschehnissen ist die Wunde, die das Nazi-Regime in unsere Gesellschaft, in unser kollektives Bewusstsein gerissen hat, immer noch frisch, und ich bin mir nicht sicher, ob sie jemals wirklich heilen kann.
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Unsere Aufgabe als Nachgeborene ist es, die Erinnerung an das Geschehen wach zu halten, um gegen das Wiedererstarken nationalistischer, fremdenfeindlicher, ausgrenzender Kräfte gewappnet zu sein.
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Diese Aufgabe fordert uns angesichts der aktuellen politischen Entwicklung jetzt ganz besonders.
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Es ist ein überaus glückliches Zusammentreffen, dass wir hier und heute dieses Erinnerungsmal an die Opfer des Holocaust einweihen können.
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Dafür danke ich zunächst und vor allem der Bürgerstiftung „Ein Herz für Bad Nauheim“, in Person ihres Präsidenten Armin Häfner, und der AG Geschichte, in Person von AG-Sprecher Hans-Günter Patzke, die gemeinsam die Initiative ergriffen haben.
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Mein Dank gilt selbstverständlich auch den Sponsoren, die gemeinsam die erforderliche Summe von 40.000 Euro aufgebracht haben.
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Nicht zuletzt danke ich dem Friedberger Künstler Prof. Peter Schubert, dessen Entwurf so eingängig, so einfach, so überzeugend die ganze Dramatik versinnbildlicht, mit der jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger während der Nazi-Diktatur aus ihrem vorherigen Leben herausgerissen wurden.
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278 Namen trägt dieses Mahnmal.
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Namen von Menschen, die längere Zeit oder vorübergehend in Bad Nauheim gelebt haben.
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Sie alle fielen dem Holocaust zum Opfer – weil sie Juden waren, weil sie den vom Rassenwahn der Nazis propagierten Idealen nicht entsprachen, weil man sie – und das übrigens wiederholt in ihrer mehrtausendjährigen Geschichte und seinerzeit schon lange vor dem Erstarken des Nationalsozialismus – zu Sündenböcken einer schwierigen wirtschaftlichen Entwicklung gestempelt hatte.
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Es ist eine Ironie der Geschichte, dass es sich unter anderem hinsichtlich der Bad Nauheimer Jüdischen Gemeinde gerade gegenteilig verhielt.
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So haben einige der Bad Nauheimer Juden als Ärzte und Wissenschaftler den aktuellen Ruf Bad Nauheims als Wissenschaftsstandort begründet.
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Ich denke hier unter anderem an Prof. Dr. Franz Groedel, dem Bad Nauheim das Kerckhoff-Institut und damit den Vorläufer des Max-Planck-Instituts für Herz- und Lungenforschung verdankt und der glücklicherweise durch die Emigration in die USA der Vernichtung entgehen konnte.
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Wir sehen heute klar, dass die Nazis in ihrer rassistischen Verblendung Deutschland zahlloser jüdischer Wissenschaftler, Künstler und Literaten beraubt haben, dass Forschung, Lehre und Geisteswissenschaften in Deutschland durch Emigration und Vernichtung einen unglaublichen, einen fast mit den Händen greifbaren Verlust erlitten.
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Diese „Großen“ mit ihren berühmten Namen stehen stellvertretend für all die sechs Millionen Juden, die dem Holocaust zum Opfer fielen.
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Das Mahnmal, das wir heute enthüllen, soll uns auch den Wert jedes einzelnen Lebens vor Augen führen.
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Jeder Mensch, das ist die auf humanistischen Idealen basierende Überzeugung unserer westlichen Zivilisation, hat seine Existenzberechtigung und seinen Platz in dieser Gesellschaft.
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Ich wünsche mir, dass wir uns beim Anblick dieses Denkmals auch diesen Aspekts bewusst werden und ihn niemals vergessen.
Ansprache von Dr. Thomas Schwab, Mitglied der AG Geschichte Bad Nauheim
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Lucia Parbel, Schülerin an der St. Lioba-Schule, Moritz Kirchner und Leander Gronau, Schüler an der Ernst-Ludwig-Schule verlesen jetzt die 278 Namen auf der Bronzetafel des Erinnerungsmals.
Es sind, wie wir gehört haben, die Namen von jüdischen Männern, Frauen und Kindern, die in Bad Nauheim geboren wurden oder einmal in Bad Nauheim gewohnt haben und die Opfer des Holocaust wurden.
Die meisten von ihnen, zwei Drittel, waren Frauen.
Siebenundzwanzig der Kinder waren jünger als 15 Jahre.
Sie alle haben in dieser Stadt gelebt, hatten hier ihre Wohnungen, ihre Häuser, ihre Hotels, Arztpraxen oder Geschäfte. Viele von ihnen waren selbständig, andere wiederum waren Angestellte, Hausmädchen oder Dienstboten.
Folgen Sie mir durch die Straßen Bad Nauheims zu nur einigen der Häuser, in denen unsere jüdischen Nachbarn gewohnt haben und deren Namen wir gleich hören werden.
In dem Gebäude des ehemaligen Terrassencafés war das renommierte Hotel Bellevue, ein Prachtbau mit schmiedeeisernen Balkonen, Balustraden und einer Terrasse mit Orangenbäumen und weißem Oleander. Es gehörte dem Hotelier Emil Adler und seiner Frau Henriette.
In der Parkstraße 10, neben dem Eissalon Dolomiti, hatte die Familie Straus ihr eigenes Haus und ein Konfektionsgeschäft im Erdgeschoss.
Gegenüber, im Haus Parkstraße 18, wo jetzt Poppe & Poppe Tabak und Spirituosen verkaufen, war die Zahnarztpraxis von Dr. Saki Ehrmann.
In der Alicestraße, dort stand bis 1929 die alte Synagoge, wohnten die Familien Bettmann, Bodenheimer, Lewi, Löwenstein und Wallenstein.
In der Stresemannstraße, der früheren Fürstenstraße hatten die Geschäftsleute Isidor Baumblatt, Moritz Kahn, Gustav Wolf und Albert Spiegel ihre Läden.
Zahlreiche jüdische Familien wohnten in der Karlstraße
Willi Goldschmidt hatte in der Karlstraße 26 ein Geschäft für Weißwaren.
Im Haus neben den Goldschmidts war das Hotel Flörsheim. Inhaberin war Minna Stern. Heute ist dort die Pfälzer Weinstube.
Auch in der Altstadt wohnten Bad Nauheimer jüdischen Glaubens, in der Burgstraße, in der Schnurstraße oder wie das Ehepaar Frieda und Nathan Mayer in der Apfelstraße.
In der Frankfurter Straße, Ecke Benekestraße stehen die beiden schönen, miteinander verbundenen Villen mit den Nummern 63 bis 65.
Zunächst war in den Häusern das Kurheim für jüdische Frauen, ab 1937 das Jüdische Altersheim untergebracht.
Nach der Reichspogromnacht stiegen die Emigrationen in ganz Deutschland sprunghaft an.
Das Altersheim wurde zu einem Zufluchtsort für zurückgebliebene ältere Familien-angehörige.
Zuletzt war es völlig überbelegt. In den frühen Morgenstunden des 15. September 1942 wurden sämtliche 79 Bewohner des Altersheimes von der Gestapo abgeholt.
Eine Nacht mussten sie in der Turnhalle der Augustinerschule in Friedberg verbringen, bevor sie von Darmstadt aus in das Ghetto Theresienstadt verschleppt wurden.
Nur zwei von ihnen, Dina Engel und Johanna Scheuer haben den Holocaust überlebt.
Das große Gebäude, ebenfalls in der Frankfurter Straße, in dem heute die Sophie-Scholl-Schule untergebracht ist, war ursprünglich als jüdisches Kinderheim erbaut worden. Von 1937 bis Mai 1939 wurde es als Jüdische Bezirksschule mit Internat genutzt.
Man muss wissen, dass es ab November 1938 jüdischen Kindern verboten war, deutsche Schulen zu besuchen. Von den 150 Kindern an der Schule waren die Hälfte Internatsschüler.
Nach der Schließung der Schule kehrten die Kinder wieder in ihre Heimatorte zurück. Wie ihr weiteres Schicksal verlief, zeigt das Beispiel von zwei befreundeten Schülerinnen:
Friedel Wallenstein kehrte zurück nach Grüningen, ihre Freundin Marion Rothschild zurück nach Weilburg. Drei Jahre später trafen sie sich wieder auf dem Güterbahnhof in Darmstadt. In einem Massentransport wurden sie nach Treblinka gebracht und ermordet. Friedel war 10 Jahre, Marion war 12 Jahre alt.
Es gibt keine Liste ehemaliger Schülerinnen und Schüler der Bezirksschule.Die meisten von ihnen sind wohl umgekommen.Die Namen von 30 Kindern der Schule stehen auf dem Erinnerungsmal.
Ich darf nun bitten, die Namen zu verlesen.
Lucia Parbel (St. Lioba-Schule), Leander Gronau und Moritz Kirchner (Ernst-Ludwig-Schule) verlesen die Namen der Holocaustopfer
Manfred de Vries, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Bad Nauheim, spricht das Kaddisch
Erhoben und geheiligt werde sein großer Name auf der Welt, die nach seinem Willen von ihm erschaffen wurde – sein Reich erstehe in eurem Leben in euren Tagen und im Leben des ganzen Hauses Israel, schnell und in nächster Zeit, sprecht: Amen!
Sein großer Name sei gepriesen in Ewigkeit und Ewigkeit der Ewigkeiten.
Gepriesen und gerühmt, verherrlicht, erhoben, erhöht, gefeiert, hocherhoben und gepriesen sei der Name des Heiligen, gelobt sei er, hoch über jedem Lob und Gesang, jeder Verherrlichung und Trostverheißung, die je in der Welt gesprochen wurde, sprecht Amen.
Fülle des Friedens und Leben möge vom Himmel herab uns und ganz Israel zuteil werden, sprecht Amen.
Der Frieden stiftet in seinen Himmelshöhen, er stifte Frieden unter uns und ganz Israel, sprecht Amen.