Gertrude Kendziorek

Gedenkstein für Gertrude Kendziorek geb. Baumblatt in Hamburg.

 

 

 

Schicksal der Gertrude Kendziorek (* Bad Nauheim 26.11.1901), geborene Baumblatt.

Der folgende Text wurde auszugsweise von der Webseite: www.stolpersteine-hamburg.de  übernommen.

Nach der Flucht seiner Eltern in die Niederlande war als einziges Familienmitglied der Drogist Leo Kendziorek mit seiner Ehefrau Gertrude und dem Sohn Heinz in Hamburg zurückgeblieben. Leo Kendziorek wurde bereits 1922 in die Hamburger Gewerbezentralkartei als "Händler mit Drogen und chemischen Präparaten, die Heilzwecken dienen sowie mit Galanteriewaren und photographischen Bedarfsgegenständen, Hausstandssachen und dest. Branntwein" eingetragen. Im Hamburger Adressbuch von 1923 war er mit einer Drogerie in der Wandsbeker Chaussee 155 verzeichnet. Dieses Geschäft hatte er mit seinem Bru­der Alfons gegründet.

Alfons Kendziorek hatte 1926 die Teilhaberschaft mit seinem Bruder
Leo aufgelöst und im März ein Geschäft in der Rothenbaumchaussee 109 angemeldet. Er wohnte nun auch dort. Im Hamburger Adressbuch von 1927 findet sich der lapidare Eintrag "Kendziorek A. u. Walter Rebhuhn, Rothenbaumchausse 109". Die Gewerbekartei weist den gelernten Kaufmann hier als Drogisten aus.

Nach den Berichten von früheren Angestellten im späteren Wiedergutmachungsverfahren war die Drogerie von Leo Kendziorek sehr gut eingeführt. Sie hatte fünf Abteilungen: Drogerie, Parfümerie, Foto und Dunkelkammer, Farben, Feuerwerkskörper und Scherzartikel. In der Drogerie arbeiteten Leo Kendziorek, später auch seine Ehefrau und zwei Angestellte.
Das Geschäft in der Wandsbeker Chaussee ermöglichte Leo Kendziorek und seiner Familie ein auskömmliches Leben.

Leo Kendziorek, seit 1924 Mitglied der Jüdischen Gemeinde, war verheiratet mit der ebenfalls aus einer jüdischen Familie in Nauheim/Hessen stammenden Gertrude, geborene Baumblatt, geboren am 26. November 1901. Am 24. April 1929 wurde ihr einziger Sohn Heinz geboren.

Die Familie Leo Kendziorek wohnte zunächst in der Auenstraße 6 in Hamburg-Eilbek. 1932/1933 zog sie in die Wandsbeker Chaussee 159. Auch die Geschäftsadresse lautete jetzt Wandsbeker Chaussee 159. Dort bewohnte die Familie eine gut ausgestattete Wohnung mit Wohnzimmer, Esszimmer, Schlafzimmer und Küche.

Über die Situation der Drogerie und die Lebensumstände der Familie nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten liegen keine Berichte vor. Die Verhältnisse müssen jedoch sehr bedrückend gewesen sein. Anscheinend war Auswanderung in der Familie ständiges Gesprächsthema. Vier der fünf Geschwister Leo Kendzioreks hatten Deutschland Mitte der 1930er Jahre verlassen. Die Tatsache, dass auch Leo und Gertrude Kendziorek schon Anfang 1936 auswandern wollten, lässt erkennen, dass sich die Lebensumstände auch für sie drastisch verschlechtert hatten. Ihr Ziel war Palästina. Die erhalten gebliebene Vermögenserklärung vom 6. Februar 1936 wird im Zusammenhang mit den Ausreiseabsichten abgefasst worden sein.

In Palästina wollte die Familie Kendziorek eine neue Existenz in einer landwirtschaftlichen Siedlung aufbauen. Das für die Ausreise benötigte Geld stand jedoch wohl nicht vollständig zur Verfügung. Deshalb versuchten die Verwandten im Ausland, ihren Bruder in seinem Vorhaben zu unterstützen. Die Bemühungen um eine Auswanderungserlaubnis zogen sich über Jahre hin. Noch 1939 hoffte die Familie, aus Deutschland ausreisen zu können. Vermutlich scheiterte die Auswanderung am Kriegsbeginn.

Mit dem Novemberpogrom 1938 spitzten sich die Verhältnisse auch für die kleine Familie Kendziorek dramatisch zu. In einem Brief der Schwiegereltern von Gertrude Kendziorek vom 20. November an deren Bruder heißt es: "Trude findet sich, wie so viele, in ihr Schicksal und wollen wir hoffen, dass Leo gesund retour kommt." Leo Kendziorek war im Zuge der Pogromnacht verhaftet worden. Er befand sich vom 11. bis 30. November 1938 als Gestapo-Häftling im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel. Am 14. Dezember 1938 schrieb Gertrude Kendziorek an ihren Bruder: "Wir sind eben mit der Auflösung unseres Geschäftes beschäftigt und kannst Du Dir denken, was das für Arbeit ist. Eine ganze Woche haben wir mit der Inventur zu tun gehabt, und nun geht’s weiter." Diese Arbeiten mussten zum Ende des Jahres 1938 abgeschlossen sein, denn allen jüdischen Geschäftsleuten war zum 1. Januar 1939 die wirtschaftliche Betätigung untersagt.

Am 2. Januar 1939 schrieb Gertrude Kendziorek erneut an ihren Bruder: "Unser Laden ist zum 1.3. an einen Konditor vermietet. Es sind hier auf der kurzen Strecke noch acht solche [jüdischen] Geschäfte. Drei Drogerien waren auf derselben Entfernung und wir durften nicht verkaufen, da es überfüllt wäre. Hätte man nur früher verkauft. Wir werden aus dem Laden so gut wie nichts bekommen. Es steht alles noch so wie es war. Es wird einem auch alles mit der Zeit egal."

Auch für Leos und Gertrudes Sohn Heinz Kendziorek änderten sich die Lebensbedingungen. Ab 1935 schulpflichtig, war er seit 26. April 1938 Schüler der Talmud Tora Schule im Hamburger Grindelviertel, vorher in einer staatlichen Schule in Eilbek. Der konkrete Anlass für die Umschulung ist nicht bekannt, wahrscheinlich waren die in seiner Eilbeker Schule gegen Heinz Kendziorek gerichteten Anfeindungen unerträglich geworden. Die Familie war dem baldigen Verbot des Besuchs nichtjüdischer Schulen für jüdische Schüler nur um wenige Monate zuvor gekommen. Die Nationalsozialisten erließen ein allgemeines Verbot des Besuchs nichtjüdischer Schulen durch jüdische Kinder ab 15. November 1938.

1939 war das Vermögen von Leo Kendziorek in kurzer Zeit von über 15.000 RM auf 3400 RM geschrumpft. Nach einem Vermerk der Devisenstelle des Oberfinanzpräsidenten Hamburg vom Juni 1939 war der Vermögensrückgang "auf größere Verluste bei der Abwicklung der Firma (Drogerie) zurückzuführen". Dabei blieb unerwähnt, dass die Abwicklung der Drogerie erzwungen worden war. Durch die "Judenvermögensabgabe" in Höhe von 2500 RM wurden Leo Kendzioreks Geldmittel weiter reduziert.

Nach der zwangsweisen Aufgabe der Drogerie musste Familie Kendziorek auch die zugehörige Wohnung in der Wandsbeker Chaussee 159 räumen. Die Familie wohnte kurzzeitig bei Leos Eltern in der Pappelallee 46, dann in einer Drei-Zimmer-Wohnung in der Finkenau 5. Ab 1. November 1939 stand ihr nur noch ein Zimmer in der Wohnung der Familie Regensburger in der Hansastraße 35 zu Verfügung. Dort erhielt sie ihren Deportationsbefehl.

Leo und Gertrude Kendziorek sowie ihr Sohn Heinz mussten sich mit 965 anderen am 8. November 1941 im Logenhaus an der Moorweidenstraße einfinden. Früh am nächsten Morgen wurden die Menschen in geschlossenen Polizeiwagen unter Polizeibewachung zum Hannoverschen Bahnhof transportiert. Am Abend des 11. November 1941 kam der Transport in Minsk an. Von Leo, Gertrude und Heinz Kendziorek gab es seitdem kein Lebenszeichen mehr. Sie wurden auf den 8. Mai 1945 für tot erklärt.

Für Leo, Gertrude und Heinz Kendziorek liegen Stolpersteine in der Auenstraße 6.

Stand Februar 2014
© Ingo Wille